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Mittelmeer: Was tun bei Kontakt mit Flüchtlingsbooten während des Törns?

Das Mittelmeer gilt vielen europäischen Seglern als Sehnsuchts-Revier. Hier gibt es zumeist warme und trockene Sommer, unzählige kulturelle und touristische Highlights, verteilt auf mehr als 20 Anrainerstaaten auf den drei Kontinenten Europa, Afrika und Asien. Unbeschwertes, sportliches Segeln versprechen zudem viele Regatten während der Saison wie etwa das jährlich von Malta aus startende Middle Sea Race. Doch das Mittelländische Meer grenzt im Süden auch an die armen Länder Nordafrikas. Was tun, wenn man auf See plötzlich Kontakt zu Flüchtlingsbooten hat?

SeaHelp war dabei, als am Sonntag, 20. Oktober die Flotte des 45. Malta Middle Sea Race den maltesischen Grand Harbour in Valetta verließ. Insgesamt 112 Yachten zwischen 10 und 30 Metern Länge machten sich auf den 606 Seemeilen (1.122 Kilometer) langen Wasserweg rund um Sizilien, organisiert vom altehrwürdigen Royal Malta Yacht Club (RMYC).

 

Startschuss 45. Malta Middle Sea Race
© matt. müncheberg

 

Die prestigeträchtige Regatta, bei der regelmäßig viele international bekannte Segler- und Bootsnamen zu finden sind, hat als Start- und Zielpunkt Malta und führt seit 1978 gegen den Uhrzeigersinn (linksherum) erst um die italienische Insel Sizilien; danach sind die Liparischen und die Ägadischen Inseln und schließlich die Inseln Pantelleria und Lampedusa an Backbord zu passieren.

 

45. Malta Middle Sea Race - Flüchtlingsboot im Mittelmeer
© matt. müncheberg

 

Lampedusa liegt auf der kürzesten Strecke nur 138 Kilometer östlich der tunesischen Küste

Lampedusa ist die größte der Pelagischen Inseln im Mittelmeer zwischen Sizilien und Tunesien. Die Insel gehört zu Italien, und hier innerhalb der Autonomen Region Sizilien zur Gemeinde Lampedusa e Linosa im Freien Gemeindekonsortium Agrigent. Lampedusa liegt rund 205 Kilometer südlich von Sizilien und auf der kürzesten Strecke nur 138 Kilometer östlich der tunesischen Küste, etwa auf gleicher Breite wie die Stadt Monastir.

Aus diesem Grund entwickelte sich Lampedusa seit den 2010er Jahren im Zuge des Arabischen Frühlings und des internationalen Militäreinsatzes in Libyen zu einer von Migranten verstärkt angesteuerten Zwischenstation bei der Flucht über das Mittelmeer. Tausende machten – und machen – sich in teilweise seeuntüchtigen Flüchtlingsbooten auf den gefährlichen Wasserweg, viele Flüchtende überlebten diese Fahrten nicht.

Was tun, wenn man als Crew eines Freizeitbootes – oder als Skipper eines der am Malta Sea Race teilnehmenden Yachten – auf eines dieser Flüchtlingsboote, das bei der nächsten größeren Welle zu sinken droht, stößt? Vor Lampedusa und den benachbarten Inseln kann das durchaus vorkommen. Wie verhält man sich als Skipper und Crew in einem solchen Ausnahmefall korrekt? Wegschauen funktioniert nicht.

Nach internationalem Seerecht sind alle Schiffe überall auf See dazu verpflichtet, in Seenot geratenen Menschen Hilfe zu leisten

Generell gilt: nach internationalem Seerecht sind alle Schiffe überall auf See dazu verpflichtet, in Seenot geratenen Menschen Hilfe zu leisten. Seenotrettung ist als menschliche Pflicht in der maritimen Tradition verankert und gilt als Völkergewohnheitsrecht überall auf See.

So sieht es auch Francesca Vincenti von der Malta Tourism Authority, die deutsche und italienische Journalisten zum diesjährigen Middle Sea Race eingeladen hat: „Es ist keine Frage, ob man helfen sollte, man ist dazu verpflichtet“, sagt die Seglerin einen Tag vor dem Regattastart. Es gelte das internationale Seerecht.

Auch Georges Bonello du Puis vom ausrichtenden Royal Malta Yacht Club trifft zu dem Thema eine eindeutige Aussage. „Sollten den Teilnehmerbooten Flüchtlingsboote begegnen, sollte man sich die Position notieren und Fotos der Flüchtlingsboote machen“, rät der Race Officer beim Skipper-Briefing am 18. Oktober im Hotel Excelsior an der Marina Marsamxett in Valetta.

Beides, Fotos und Position des Flüchtlingsboots, sollten dann der Coastguard übermittelt werden. Sollten sich die Flüchtlingsboote in Seenot befinden, und sollte zu befürchten sein, dass sie sinken, sollte, wenn man dazu in der Lage sei, und ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen, die „Rettung beschleunigt“ werden.

Das deckt sich mit den Aussagen von Fregattenkapitän Frank Martin, Pressechef im Presse- und Informationszentrum der deutschen Marine, den Trans Ocean vor einiger Zeit zu diesem Thema befragt hat. „Wenn sie (…) Menschen haben, die in Seenot geraten sind, dann machen sie natürlich das, was jeder Seemann machen wird: er versucht sie in irgendeiner Form aus dem Wasser zu holen“, wird Martin dort zitiert.

„Wenn sie aber ein Boot mit mehreren Hundert Menschen haben, können sie die Situation nicht mehr handeln. Hier ist es entscheidend dass sie schnellstmöglich das jeweilige Rescue Coordination Centre informieren“, schränkt der Marineoffizier ein.

Wichtig ist, die Position des Flüchtlingsboots durchzugeben, abzuschätzen, um wie viele Menschen es sich handelt und weitere Infos zu übermitteln

Dabei sei es „ganz wichtig“, dass man die Position des Flüchtlingsboots durchgebe, abschätze, um wie viele Menschen es sich handele und auch weitere Infos übermittle, die man von anderen Seenot-Situationen kenne: „in welchem Zustand sind die Menschen, sind sie einer direkten Gefährdung ausgesetzt, also ist das Flüchtlingsboot schiffbrüchig, sind vielleicht schon Menschen im Wasser?“

Sein Rat: an Bord selbst sollte man sich organisieren; die Crew sollte sich bei solchen Fällen einteilen: „einer macht den Sprechfunkt, einer hält Ausschau, und einer steuert die Yacht“. Martin wäre „persönlich (…) mit einer Annäherung an Flüchtlingsboote sehr vorsichtig“.

Man wisse schließlich nie, ob vielleicht auch noch Schleuser mit an Bord des Flüchtlingsboots seien. Ganz schnell könne man hier in eine „gefährliche Situation“ geraten. Deswegen sollte man „sehr vorsichtig“ agieren. Die eigene Sicherheit habe „oberste Priorität“, man solle „dafür Sorge tragen, dass man immer Herr der Situation bleibt und sich nicht irgendeiner Gefahr aussetzt“.

Die Einschätzung, ob eine „gefährliche Situation“ vorliegt, ob sich die Flüchtlinge in „Seenot“ befinden, und ob- bzw. wie geholfen werden sollte, obliegt jedem einzelnen Skipper und seiner Crew allein. Allein auf deren Einschätzung kommt es an.

Doch Fakt ist auch: kein potentiell gefährdetes Menschenleben sollte unwichtiger sein als etwa die prestigeträchtigen Line Honours (First Ship Home) bei Mittelmeer-Regatten wie beim Middle Sea Race mit seinen über 100 teilnehmenden, teilweise millionenschweren Booten.

Pro Asyl hat eine Broschüre zum Thema Flüchtlinge in Seenot herausgegeben, die helfen soll, der Verantwortung von Boots-Crews gerecht zu werden

Für Sipper, die in den betreffenden Seegebieten unterwegs sind, und sich informieren wollen, hat Pro Asyl e.V. einen Flyer „Flüchtlinge in Seenot“ herausgegeben. Die Broschüre soll helfen, der Verantwortung einer Bootsbesatzungen gerecht zu werden. Sie gibt einen Überblick über die Regelungen des entsprechenden internationalen Rechts, die man als Skipper kennen sollte, konkrete Verhaltens-Tipps zur Seenotrettung sowie eine Auswahl mit weiteren Quellen und Notrufnummern. Zitat (Auszüge):

„Die Pflicht zur Seenotrettung ist in mehreren völkerrechtlichen Verträgen des Internationalen Seerechts niedergelegt. Sie sind von den Vertragsstaaten umgesetzt worden. Das bedeutet: Seenotrettung ist mehr als ein Gebot der Nächstenliebe. Man ist vielmehr rechtlich verpflichtet, zu helfen. Seenot ist „eine Lage, in der angenommen werden muss, dass eine Person, ein Schiff, oder ein anderes Fahrzeug durch eine ernste und unmittelbare Gefahr bedroht ist und sofortiger Hilfe bedarf“.

Muss ich retten, obwohl mich und meine Crew das in Gefahr bringt?

Nein. Im SRÜ (UN-Seerechtsübereinkommen) und im Bergungsabkommen wird betont: Sie müssen nur zur Rettung schreiten, wenn sie „ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande“ sind. So können insbesondere Sportboote zu klein sein, um eine große Menge an Personen aufzunehmen, die sich auf einem Flüchtlingsboot befinden.

Dennoch können und müssen Sie in diesem Fall handeln: Wenn Sie sich selbst außerstande sehen, zu helfen, müssen Sie dies nicht nur mit Begründung in Ihrem Logbuch festhalten, sondern vor allem dem zuständigen Seenotrettungsdienst (Rescue Co-ordination Centre, RCC) Bericht erstatten, damit dieser zur Rettung schreiten kann. Auch sollten Sie versuchen, über UKW Kontakt zu großen Frachtern oder Fischern in der Nähe herzustellen – möglicherweise können diese Hilfe leisten, bevor der Seenotrettungsdienst eintrifft.

Andernfalls riskieren Sie nicht nur das Leben der Betroffenen. Sie können sich auch wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen. Auf See befinden Sie sich im Geltungsbereich des Strafrechts Ihres Flaggenstaates, also Ihres Herkunftsstaates, und in den Territorialgewässern in demjenigen des Küstenstaates.

Wen muss ich retten?

Jeden Menschen, der in Seenot ist. SAR und SOLAS betonen: Die Rettungspflicht gilt unterschiedslos gegenüber jeder Person – unabhängig von ihrer Nationalität, ihrer Rechtsstellung und den Umständen, in denen sie aufgefunden wird. Es ist also unbedeutend, aus welchem Land die Person stammt. Ebenso irrelevant ist, ob sie sich auf eigenes Risiko in Gefahr begeben hat und aus welchen Gründen sie den Weg übers Meer gesucht hat.

Vor allem aber ist eines irrelevant: Ob die Person in Seenot ein Visum hat, das ihr die Einreise in einen europäischen Staat erlaubt. Das wird meist nicht der Fall sein – die Einwanderung über das Meer ist ein typischer Fall der irregulären Einreise, da legale und gefahrenfreie Wege für Flüchtlinge und MigrantInnen nach Europa kaum existieren.

Die Rettung – was muss ich tun?

Nach dem SAR heißt das für Sie: Bergen Sie die in Not befindlichen Personen, stellen Sie ihre medizinische Erst- oder sonstige Grundversorgung sicher, bringen Sie sie an einen sicheren Ort (Was das ist – siehe unten, Anm. d. Red.). Kontaktieren Sie den für die jeweilige Such- und Rettungszone zuständigen Seenotrettungsdienst.

Dieser wird von Ihnen, den IMO-Richtlinien folgend, die nachstehenden Angaben verlangen: Informationen über die Überlebenden einschließlich Name, Alter, Geschlecht, scheinbarer Gesundheitszustand sowie eventuelle medizinische Bedürfnisse; Ihre Einschätzung der Sicherheit Ihres Schiffes nach der Rettung.

Das beinhaltet z.B. die Frage nach ausreichender Ausrüstung zur Lebensrettung, Wasser, Lebensmitteln, Medizin, Unterbringung der an Bord genommenen Personen. Hierzu gehört auch die Frage nach der Sicherheit Ihrer Besatzung, falls die Gefahr besteht, dass an Bord genommene Personen aggressiv oder gewalttätig werden könnten.

Außerdem werden folgende Angaben verlangt: Maßnahmen, die Sie bereits vorgenommen haben und vorzunehmen planen, die aktuelle Auslastung ihres Schiffes mit den zusätzlich an Bord genommenen Personen; den von Ihnen ins Auge gefassten nächsten sicheren Hafen; die von Ihnen bevorzugten Maßnahmen zur Ausschiffung der Überlebenden, jede Form von Hilfe, die Sie während oder nach der Rettungsaktion benötigen könnten, sämtliche besondere Faktoren, die für die Situation von Bedeutung sind (z.B. aktuelle Wetterlage oder eilbedürftige Fracht).

Sofern sich Personen an Bord befinden, die sich als Asylsuchende offenbaren, sollten Sie zusätzlich den Empfehlungen von UNHCR und IMO folgen. Das bedeutet: Machen Sie den Seenotrettungsdienst darauf aufmerksam, dass sich potentiell Schutzbedürftige an Bord befinden. Eine ausführliche Übersicht zu den erforderlichen Rettungsschritten finden Sie im »Handbuch Suche und Rettung«.

Stichpunkt „Was ist ein sicherer Ort?“

Das SAR verpflichtet Sie, die Geretteten »an einen sicheren Ort« zu bringen. Nach dem Schifffahrts-Sicherheitsausschuss (MSC) der IMO ist ein Ort sicher, an dem die Rettungsaktion als beendet angesehen werden kann. Hier darf das Leben der geretteten Person nicht länger bedroht sein. Auch müssen die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse befriedigt sein. Dazu zählen vor allem Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung.

Ein solcher Ort kann der örtlich nächste Hafen, der nächste angestrebte Zielhafen des rettenden Schiffes oder ein Hafen des Herkunftsstaats des rettenden Schiffes sein. Die Lösung hängt stets vom Einzelfall ab. Eines aber gilt in jedem Fall: Die Ausschiffung ist ein Muss. Das rettende Schiff ist kein sicherer Ort. Es wird oftmals nicht ausreichend ausgerüstet sein, um die durch die Rettung gewachsene Anzahl von Personen sicher zu versorgen und zu beherbergen. Außerdem soll die Besatzung des rettenden Schiffes nicht überfordert werden.

In der Broschüre wird auch darauf hingewiesen, dass sich Skipper, die auf ein (sinkendes) Flüchtlingsboot stoßen, oft in einem scheinbaren Dilemma befinden: Hilft man nicht, droht eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung. Rettet man Personen, die ansonsten vielleicht zu ertrinken drohen, und schifft man diese in einem (europäischen) Hafen aus, kann man unter Umständen wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise bestraft werden.

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