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Orca-Attacken: Orcas. Warum sie Boote angreifen.

Orcas greifen eine Segelyacht an
Zwei Orcas während einer Ruder-Attacke unter einer Segelyacht im Herbst 2022. Deutlich zu erkennen ist ein Orca, der sich auf die Seite dreht, um ein Ruderblatt mit seinem Maul zu fassen und es wegzureißen.

Es ist kurz nach 10 Uhr Vormittags, als die 17 Meter lange Segelyacht zweier Segler aus dem Voralpenland mit einem brutalen Schlag aufgestoppt wird. Es ist, als hätte die Yacht etwas gerammt. Aber dort, wo sie unterwegs sind, 22 Seemeilen vor der nordspanischen Küste und vom Hafen Vigo entfernt, gibt es kein Riff und keine Insel. Stattdessen entdeckt der Skipper den etwa 5 bis 6 Meter langen schwarzglänzenden Tierkörper mit dem Rücken-Schwert und den typischen großen weißen Augenflecken, der ruhig unter seinem Heck auftaucht und mit lautem Geräusch so energisch ausbläst, als wäre er wütend.

Ein Orca! Die beiden Segler filmen die Szene. Sie halten fest, wie sich das Tier in einem Bogen ein zweites Mal von achtern erneut dem Ruder nähert. Seine Atemluft energisch nach oben schickt. Dann zum Ruder taucht, es packt und heftig daran rüttelt, bis das Boot vibriert und die Video-Aufnahme abrupt abbricht.

Drei Mal dreht der Orca schnaubend die Hanse 540 um 360 Grad im Kreis, rammt weiter das Ruder der Yacht. Nur 10 Minuten dauert der Angriff auf das Yachtruder. Dann sehen der Skipper und seine Begleiterin Trümmer ihres Ruders an der Wasseroberfläche treiben. Danach ist der Orca verschwunden. Die Yacht bleibt mit zerstörtem Ruder in den Wellen liegen.

Der Skipper wartet, bis er den Motor startet und es ohne Seenotretter und aus eigener Kraft schafft, den vier Stunden entfernten Hafen von Vigo anzulaufen. Als er die Yacht aus dem Wasser kranen lässt, fehlt von seinem Ruder die untere Hälfte. Was noch da ist, ist der Länge nach in zwei Hälften gespalten wie die Schalen einer Hülsenfrucht. Ein Schaden in fünfstelliger Höhe.

 

Orcas zerstören das Ruder einer Yacht
Das von Orcas zerstörte Ruderblatt einer britischen Yacht.

 

Was weiß man bisher über die Orca-Attacken?

Der deutsche Skipper ist mit dieser Begegnung nicht allein, mittlerweile sind viele Segler vor der iberischen Halbinsel betroffen. Es sind vor allem internationale Segler, die von Skandinavien, Großbritannien, den Benelux-Ländern oder Deutschland aus auf dem Törn ins Mittelmeer oder von dort zurück sind. Viele von ihnen müssen von spanischen, portugiesischen oder marokkanischen Seenotrettern in den nächsten Hafen geschleppt werden, weil ihr empfindlichstes Teil, das Ruder zerstört ist.

Wolfgang Michalsky ist Yachtgutachter an der spanischen Atlantikküste, und er verfolgt die Schäden von Anfang an. „Ich bin seit 40 Jahren Schadenssachverständiger. Die ersten beschädigten Yachten sahen wir im Juli 2020 an einer X-Yacht, die nach Finnland überführt werden sollte und mit beschädigtem Ruder nach Barbate geschleppt wurde. Danach ging es Schlag auf Schlag. Im Sommer 2020 waren es drei Jungtiere, die auf Yachtruder losgingen. Im Oktober 2022 waren es mindestens 16 Schwertwale.“ Bislang gehören alle zur Gruppe der sogenannten Orca Iberica, einer Gruppe von 50 Tieren, die im Sommer vor der iberischen Halbinsel den Thunfischschwärmen, ihrer Hauptnahrung folgt.

Doch die Attacken auf Ruder weiteten sich in den letzten beiden Jahren aus – von den Hotspots nordwestlich der Straße von Gibraltar bis zur portugiesisischen Küste vor Sines im Süden und Lissabon und einem weiteren Hotspot um die nordspanischen Hafenstädte Vigo und A Coruña, zu denen auch die beiden deutschen Segler gehörten.

Mittlerweile sind 300 Fälle von zerstörten Rudern bekannt, ihre tatsächliiche Zahl dürfte bei über 400 in zwei Jahren liegen. Wenigstens zwei Segelyachten sanken in der Folge von Orca Attacken, die wirklichen Zahlen schätzt Yachtgutachter Michalsky höher: „Ich konnte allein zwischen Anfang Juli und Mitte August 2021 etwa 7 Yachten in der Straße von Gibraltar recherchieren, die infolge eines unklaren Wassereinbruchs sanken. Die Ursachen dieser Schiffsverluste sind bis heute nicht geklärt.“

Zum Großteil sind es Segelyachten zwischen 10 und 15 Metern Länge, deren Ruder zwischen der marokkanischen Küste im Süden bis mittlerweile vor Brest attackiert und beschädigt wurden. Daneben auch die Schlauchboote von Walschützern, Fischtrawler vor dem portugiesischen Sesimbra sowie marokkanische Fischerboote vor der maghrebinischen Küste, von denen nach Berichten vereinzelt auch Boote sanken.

Die Ursachen. Warum greifen Orcas Segelyachten an?

Es gibt unzählige Theorien, warum frei lebende Schwertwale bis vor Jahren Abstand zu Booten hielten und nun plötzlich Boote rammen, mehrfach um 360 Grad drehen und auf die Ruder losgehen. Auch über den Auslöser tappen Forscher im Dunkeln.

War es die Verletzung eines Schwertwalbabies durch Fischer oder Segler? Steckt die Ursache in der Nahrungskonkurrenz mit lokalen Fischern um den begehrten Thunfisch vor der Küste Andalusiens? Oder hat die Beeinträchtigung ihres Lebensraumes durch Frachter, Fähren und Freizeitboote die Gegenwehr der intelligenten Meeressäuger geweckt? Ist der Auslöser die Verschmutzung der Meere mit Pestiziden, die zu hoher Säuglingssterblichkeit und bei den bis 80, ja 100 Jahre alt werdenden Orcas immer häufiger zu Krankheiten führt? Steckt Aggression hinter den Attacken der Schwertwale? Ist es Jagdtraining? Oder ist alles nur ein Spiel, bei dem Segler für etwas bezahlen, was andere ausgelöst haben?

Forscher und Walschützer folgen derzeit vielen Spuren, stehen aber vor einem Rätsel. Selbst Lärm durch die Jet-Antriebe moderner Fähren in der Straße von Gibraltar, von Speedbooten oder den Echoloten von Segelyachten und Freizeitbooten kommen als Ursache ebenso in Frage wie die Farbe des Unterwasseranstrichs.

Wie entwickeln sich die Orca-Attacken weiter?

Sowohl die Zahl der beteiligten Tiere als auch auch die Intensität der Ruder-Attacken nimmt zu. Eigentlich sind in den vergangenen Jahren ab Mitte Dezember bis Ende Februar keine Attacken verzeichnet. Doch der letzte dokumentierte Angriff auf eine Segelyacht fand in der ersten Januarwoche statt. An dieser Stelle stimmt Yachtgutachter Wolfgang Michalsky mit Forschern, Walschützern und Meeresbiologen überein: „Es würde mich nicht wundern, wenn die Orcas ihre Aktivitäten gegen Segelyachten und Ruder ausweiten. Sie werden nicht aufhören.“

Literatur zum Thema:

Buch: Das Rätsel der Orcas von Thomas KäsbohrerIm Januar 2023 bei millemari. erschienen:

Thomas Käsbohrer, Das Rästel der Orcas.

Als Buch und Hörbuch überall im Buchhandel und auf www.millemari.de

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