Bereits im Mai 2020 lief die Scuderia 65, ein von Designer Harry Miesbauer entworfenes Rennsegelboot, vom Stapel. Sie ist vollständig aus Carbon-Sandwiches gefertigt. Drei Jahre und vier Saisons später steht fest: die Yacht segelt schnell, und durch die langfahrt-taugliche Innenausstattung eignet sie sich auch gut als Fahrtenboot. Damit kommt sie der idealen Fahrtenyacht – jedenfalls – für ihren Eigner – ziemlich nahe. SeaHelp sprach mit Designer Harry Miesbauer über „ideale Yachten“.
Hägar der Schreckliche (englisch Hägar the Horrible, ein Comicstrip, der 1973 von Dik Browne erfunden wurde), ist der Anführer einer Gruppe von Wikingern, die sich regelmäßig auf Eroberungszüge begibt, vorzugsweise nach England. Hägar gilt als gefürchteter Eroberer, zeigt sich zu Hause aber als treusorgender Familienvater, dessen Geschäft eben zufällig das Plündern und Brandschatzen ist.
HÄGAR ist auch der Name eines Rennsegelbootes, dessen Spi das Konterfei des sympatischen Wikingers zeigt. Was beide, den Zeichen-Hägar, und die Segelyacht, eint, ist, dass man sich tatsächlich vor beiden fürchten sollte: vor dem einen, von Dik Browne geschaffenen, weil er das tut, was Wikinger angeblich gerne tun: auf Raubzüge gehen. Vor dem anderen HÄGAR, sollte man sich auf den Regattafeldern in acht nehmen. Denn: die HÄGAR genannte Yacht segelt schnell, sehr schnell.
Der aus Oberösterreich stammende Designer Harry Miesbauer hat die Regatta- und fahrtentaugliche Segelyacht Scuderia 65 gezeichnet
Gezeichnet hat die Rennsegelyacht der 1966 geborene, aus Oberösterreich stammende Designer Harry Miesbauer. Miesbauer, der seit seinem sechsten Lebensjahr segelt und selbst begeisterter Regattasegler in Jollen und Dickschiffen ist, absolvierte nach seinem Maschinenbau-Diplom in Österreich das renommierte Yacht- und Powercraft-Design-Studium in Southampton, welches er 1998 abschloss.
Direkt nach seinem Abschluss arbeitete er drei Jahre lang im Studio von Luca Brenta / Mailand als leitender Yachtdesigner und zwischen 2004 und 2007 weitere drei Jahre als leitender Yachtdesigner im Bereich Regattaprojekte. In der zweiten Periode war er auch einer der Partner von Luca Brenta; Highlights dieser Zusammenarbeit tragen so klangvolle Namen wie etwa KENORA Wally 105, Wally B, CHRISCO CNB 100, TP52 C-QUADRAT, er designte die B-Yachten B-60, B-30, B-38, eine Nautor 76 und andere.
Von 2000 bis 2004 arbeitete er als leitender Designer bei Mani Frers im italienischen Frers-Büro in Mailand; in dieser Zeit war er unter anderem Mtglied des Designteams des schwedischen Victory Challenge Americas Cup-Teams und Mitglied des Volvo Ocean Race-Designteams von Amers Sports One (VOR 60). Und: in dieser Zeit zeichnete Miesbauer auch für verschiedene IMS-Rennboote verantwortlich.
Seit 2007 betreibt Miesbauer sein eigenes Design-Büro mit Sitz in Italien und Österreich
Schließlich gründete der Oberösterreicher, der unter anderem auch das Design der Frauscher-Motoryachten realisierte, 2007 sein eigenes Studio /H/arry Miesbauer Yacht Design (hmyd) mit Sitz in Como / Italien und Wien / Österreich, nach eigenen Aussagen ein „Yachtdesign-Studio im klassischen Sinne, welches das komplette Paket des Yachtdesigns anbietet – von der Schiffsarchitektur, der Schiffs- und Bautechnik bis hin zum Exterior- und Interiordesign“.
Herr Miesbauer, wie sieht für Sie die ideale Yacht aus?
Für mich selbst ist die ideale Yacht natürlich eine Segelyacht. Das ist meine Geschichte, meine Leidenschaft… Nennen wir es, wie wir wollen. Meine ideale Yacht muss aber in erster Linie den drei Grundprinzipien der Design-Philosophie meines Studios folgen…. Bellezza / Eleganza / Performance….
Performance schafft man nur mit einem leichten Boot. Hat man die Performance unter Kontrolle, kommt die Bellezza und die Eleganza von ganz allein. Bezüglich Bellezza: ich sage meinen Mitarbeitern immer, dass wir schöne Dinge kreieren müssen, schliesslich gibt es schon genug hässliche Dinge auf dieser Welt.
Wenn es um eine Yacht für einen Eigner / Kunden geht, ist die ideale Yacht die, die den Design-Brief bzw. die Bedürfnisse des Eigners am besten umsetzt. Haben wir das geschafft, können wir Bellezza / Eleganza / Performance angehen. Ziel muss es aber immer sein, dass ein Eigner auch nach fünf Jahren, wenn er zum Steg, an dem seine Yacht liegt, immer noch stolz sagen können soll: „schaut mal, das ist meine Yacht, ist sie nicht die schönste (la piu bella) der gesamten Marina?“
Aber, nachdem ich lange nur Regattayachten gezeichnet habe, versuchen wir bei jedem neuen Projekt, der Performance einen möglichst grossen Anteil einzuräumen. Apropos leichtes Boot: ein Aspekt, den Viele nicht sehen, ist, dass ein leichtes Boot zumeist auch ein sicheres Boot ist, weil nämlich die Lasten auf das Rigg, die Schoten etc. geringer sind und daher auch die Gefahr von Verletzungen kleiner ist.
Wie kam es zur Scuderia 65?
Begonnen hat das Projekt vor einigen Jahren, als ich mit dem Eigner der aktuellen HÄGAR V das ARC (die Atlantic Rallye for Cruisers, Anm. d. Red.) gesegelt bin. Er ist ein passionierter Regattasegler und hatte damals eine 62er. Den Eigner kenne ich schon lange, und ich bin mit ihm schon viele Regatten gemeinsam gesegelt.
In den diversen Nachtwachen, als wir über den Atlantik segelten, haben wir zu Philosophieren begonnen, darüber, wie die ideale Yacht ausschauen sollte. Tags darauf hatten wir dann viel Zeit und Gelegenheit, verschiedene Dinge auszuprobieren. Es gab ein paar Sachen, die auf der 62er noch nicht so ganz funktionierten, wie sie eigentlich sollten.
Ich machte mir Notizen, und zeichnete die ersten Skizzen in mein Skizzenbuch, das ich immer bei mir habe. Die Zeit war aber noch nicht reif dafür, eine neue Yacht anzugehen, schließlich war die 62er erst drei Jahre alt. Etwa drei Jahre später, nachdem wir gemeinsam das Middle Sea Race gesegelt waren, sagte er dann im Flieger zurück von Malta nach Milano: „so jetzt kannst du anfangen mit einer 65er – aber richtig sexy soll sie sein “.
Er beauftragte vorerst nur einen Entwurf. Im Dezember 2016 fuhr ich dann mit den ersten Entwürfen nach Bozen. Die gefielen ihm so gut, dass er noch bei diesem Meeting das gesamte Projekt und des weiteren auch gleich den Bau bei Adria Sail in Fano / Italy beauftragte.
Was sind die besonderen Kennzeichen der Scuderia 65?
Als ich die finalen Rumpflinien für den Formenbau abgeben musste, hatte ich zwei Versionen ausgearbeitet: einen Rumpf, optimiert für Leichtwind mit weniger benetzter Fläche, und einen für mehr Power mit mehr Formstabilität. Gemeinsam mit dem Eigner haben wir uns dann für den zweiten, also den Power-Rumpf entschieden. Ein Grund dafür war vielleicht, dass der Eigner Leichtwind-Regatten nicht so sehr mag.
Dass es die richtige Entscheidung war, hatte sich dann schon 2022 bei der Aegean 600 – Regatta gezeigt: als die anderen Yachten bereits zwei Reffs im Großsegel hatten, sind wir bei 25 bis 30 Knoten Wind mit vollem Gross an denen vorbeigerauscht – sicherlich einer der Gründe, warum wir dieses Rennen gewonnen haben.
Ein weiteres Kennzeichen der Scuderia 65: das Deckslayout ist komplett für Offshore-Regatten optimiert. Hier haben wir eng mit Dede De Luca, Präsident von OneSails, der auch Taktiker und Crewmanager auf HÄGAR V auf Regatten ist, und Enrico Turini, Trimmer an Bord, zusammengearbeitet. So haben viele Professionals ihren Input in die Entwicklung des Bootes einfliessen lassen.
Apropos Performance: als ich selbst an Bord war, schafften wir raumschots bei 21 bis 22 Knoten Wind easy 20 Knoten Speed. Der Topspeed liegt aktuell – bis jetzt – bei 28,7 Knoten! Das wurde erreicht bei einer Überstellung mit Cruising-Segeln und nur zwei Mann Crew an Bord. Ich denke, mit Regattasegeln und einer eingespielten Regatta-Mannschaft sollten die 30 Knoten auf jeden Fall zu knacken sein.
Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht auch zu erwähnen, dass wir bei Wind über 20 Knoten unsere Studio-internen VPP-Berechnungen beim Segeln übertreffen konnten (VPP oder Velocity Prediction Program ist eine Berechnungssoftware, die die Leistung einer Segelyacht anhand bestimmter Boots- und Umweltdaten schätzt, Anm. d. Red.).
Wie schnitt HÄGAR V dann auf den Regattabahnen ab? Konnten die hohen Erwartungen erfüllt werden?
Schon in der ersten Saison, die Covid-bedingt nur in der Adria gesegelt werden konnte, hat die HÄGAR V mit diversen Line-Honours und Siegen in IRC bei den Langstrecken-Regatten des Circolo Nautico Port Santa Margherita (CNSM), bzw. mit einem hervorragenden 14. Platz bei der Barcolana 2021 – mit 1.700 Teilnehmern! – ihr Potential gezeigt.
Die Leichtwind-Performance konnten wir über die Saisons noch optimieren, und wie bereits erwähnt, die hochkarätige Aegean 600 wurde 2022 overall in IRC und ORC gewonnen, was sicherlich bis jetzt der wichtigste Sieg war.
Aber abgesehen von den Erfolgen auf dem Wasser hat die Scuderia 65 mit dem Gewinn des A´ Design-Awards in der Kategorie Yacht and marine Vessel und weiteren zwei Nominierungen bei Yacht Design Awards gezeigt, dass sie auch in Sachen Ästhetik und Design eine gute Figur macht.
Die grösste Auszeichnung gab’s aber vom Eigner selbst. Der sagte nach der Barcolana in Triest, dass er nach all den Meilen, die er in dieser Saison gesegelt sei, nichts am Boot ändern würde.
Bezieht sich das auch auf das Interieur?
Ja, vollends. Was sich auf jeden Fall bewährt hat, ist die geschlossene, U-förmige, gut ausgestattete und sehr geräumige Galley an Backbord gleich neben dem Hubkiel. Da kocht man ohne Probleme auch bei 30 bis 35 Knoten Wind und entsprechendem Seegang.
Der Salon selbst ist recht gross und kann mit dem Klapptisch modular gestaltet werden. Tagsüber sind die Durchgänge zur Navi-Ecke und zur Eignerkabine frei; zum Dinner klappt man dann einfach den Tisch auf und sitzt fein.
Die Frau des Eigners wollte ein minimalistisches, aber elegantes, zeitloses Interior. Das errichten wir mit clever abgestuften Grautönen und ein paar einzigartigen Design-Details. Ein wichtiges Merkmal dabei ist etwa der flache Decksaufbau mit umlaufenden Fenstern. Das macht auf Segelyachten sonst niemand. Es ist ein ästhetischer Trick, um das Erscheinungsbild zu strecken, und ihm ein eleganteres Aussehen zu verleihen.
Einen ähnlichen Trick nutzte ich im Salon, wo ich mit der Perspektive spielte. Steht man am Kielkasten und blickt nach achtern auf den Niedergang, dann verlängern die nach oben hin schmaler werdenden Stufen die Perspektive.
Ein weiteres schönes Detail, dieses Mal im Cockpit, gibt es bei den beiden Steuerkonsolen. Der Eigner wollte die Bedienknöpfe für die hydraulischen Trimm-Elemente an der Seite der Konsole. Also formte ich die Fläche ergonomisch nach unten Richtung Deck, um die Knöpfe aufzunehmen. Der Gashebel ist oben in der Konsole versenkt, wo er weniger auffällt.
Schließlich sollte das Boot auch noch fahrtentauglich sein… Im Gegensatz zu vielen schnellen IRC-Booten auf dem Markt wurde die Scuderia 65 so konzipiert, dass sie auch im Cruising-Modus eine komfortable Basis bietet. Es gibt drei Kabinen, die Eignerkabine hat ein Doppelbett an backbord, einen eignen Sofabereich an steuerbord und ein eigenes Bad mit separater Dusche.
Die zwei Gästekabinen mit flexiblen V-Doppelkojen im Heck verfügen beide über eigene Nasszellen mit separaten Duschen. Außerdem haben die beiden Gästekabinen noch jeweils eine Rohrkoje, die bei Regatten genutzt werden können. Alle Kojen sind verstellbar, sodass man auch bei Krängung angenehm schlafen kann.
Gegenuber der U-förmigen Galley an backbord befindet sich ein großer Navigationsbereich steuerbords, gut ausgestattet mit großem Monitor für die Navigation bzw. für die Wetterdaten im Großformat. Das gesamte Interior ist aus leichten Verbundpaneelen mit Schaumkern gefertigt. Auch die Deckenpaneele sind superleicht und besitzen einen Nomex-Wabenkern. Geräte wie Waschmaschinen und Ice-maker sind modular aufgebaut, sodass sie für die Regatten leicht ausgebaut werden können.
Ist die Scuderia 65 also tatsächlich die ideale Yacht?
Ich bin jetzt mehr als 2.500 Seemeilen im Regattamodus und etwas mehr als eine Woche im Crusing-Modus mit der HÄGAR V gesegelt. Also, sie kommt der idealen Yacht schon sehr nahe. Sobald ein bisschen Wind weht, macht es großen Spaß, sie zu segeln – je mehr Wind, je besser. Bei Wind glaubt man fast, man segele eine Jolle.
Durch die potenten Rumpflinien hat man immer das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Und im Cruising-Modus ist sie auch zu zweit easy zu handeln. Und auch das Interior-Layout hat sich voll bewährt, auch im Regattamodus, bei dem der Salon ausgeräumt und zum großen Segel-Stauraum umfunktioniert werden kann.
Grundsätzlich glaube ich, dass wir bei HÄGAR V die richtige Balance gefunden haben: einerseits powerful im Regattamodus, andererseits eine Yacht, mit der man easy mit Freunden über den Atlantik fahren kann.
Vom Konzept her würde ich als Designer heute nichts ändern. HÄGAR V ist für ihre Größe schon sehr augeklügelt. Vielleicht würden wir heute beim Interior noch einen Schritt weiter gehen, und es noch modularer machen, um für Regatten einige Dinge noch schneller und einfacher ausräumen zu können.
Mit dem Gewinn der Aegean 600 in 2022 und diversen Siegen und Podiumsplätzen bei anderen Regatten hat die Scuderia 65 ihre Perfomance unter Beweis gestellt. Und nach dem Gewinn des A´ Design-Awards und anderen Nominierungen für verschiedene Designpreise steht bereits jetzt fest, dass sie auch noch in fünf Jahren der gleiche Hingucker sein wird wie heute.
Weitere Informationen:
www.hmyd.it oder adriasail.it
Länge HÄGAR V/Scuderia65 über Alles: 20,05 m
Länge Wasserlinie: 18,60 m
Breite max.: 5,51 m
Verdrängung: ca. 19.500 kg
Tiefgang: 4,50 – 2,95 m (Hubkiel)
Gesamtsegelfläche: ca. 259,6 m²
Großsegel: ca. 152,0 m²
Vorsegel: ca. 110,10 m² (107%)
Gennaker: ca. 420,00 m²
Werft: Adria Sail / Fano, Italien