Am 3. Oktober 2020 erfolgte die langersehnte Erst-Inbetriebnahme der gigantischen Flutschutzanlage Mose (Modulo Sperimentale Elettromeccanico), die Venedig in Zukunft vor einer größeren Flut bewahren soll. Zwar konnte die Premiere als Erfolg verbucht werden, jedoch ruft der einzigartige und vor allem gigantische Bau auch Kritiker auf den Plan. Kann das ehrgeizige Projekt tatsächlich das Unesco-Welterbe vor weiteren Überflutungen schützen?
Technische Meisterleistung mit Abstrichen
Am 12. November 2019 flutete ein Hochwasser mit 187 cm über Normalnull achtzig Prozent der Altstadt von Venedig. Das zweithöchste „Acqua alta“ aller Zeiten zerstörte bzw. beschädigte dabei zahlreiche Kulturmonumente, Museen und wertvolle Archive. Der Notstand musste ausgerufen werden. Eigentlich hätte dieses Szenario gar nicht passieren dürfen, denn die Flutschutzanlage Mose sollte bis dahin längst fertiggestellt und in Betrieb sein. Doch Korruption, Baustopps und Kürzungen verhinderten eine planmäßige Inbetriebnahme, nachdem der feierliche Spatenstich vom damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi am 14. März 2003 erfolgte. So musste die leidtragende Bevölkerung immer wieder vertröstet werden. Mit einer über fünfjährigen Verspätung erfolgte der Start von Mose schließlich am 3. Oktober 2020.
78 gelbe Stahlkolosse bilden einen imposanten Schutzwall
Technisch gesehen ist Mose ein unglaubliches Projekt: Gleich 78 Stahl-Elemente zu je 250 Tonnen, welche in den Lagunenzufahrten Bocca di Lido, Bocca di Malamocco und Bocca die Chioggia positioniert sind, können innerhalb von ca. 30 Minuten Venedig vor einer Flut absichern. Ab einer Höhe von 130 cm über Normalnull wird die Barriere aktiviert und bietet bei einem Pegel von bis zu drei Meter über dem mittleren Meeresspiegel Schutz.
Ähnlich wie bei Schiffsdocks ist der Ablauf folgendermaßen konzipiert: In großen Stahlkästen liegende Klappen werden am Meeresboden geflutet und bei Verschluss drückt Pressluft das Wasser heraus, die jeweils fünf Meter starken bzw. 600 m² großen Tore richten sich aus dem Meer heraus auf. Um den weiteren Schiffsverkehr zu gewährleisten, gibt es bei Malamocco eine Schleuse. Dort können Schiffe mit einer Länge bis zu 280 Meter und einem Tiefgang bis 12 Meter passieren.
Hohe Kosten und Zukunftsängste
Trotz der erfolgreichen Erst-Inbetriebnahme im Oktober 2020 und zwei weiteren Einsätzen im gleichen Monat, bei der die Einwohner von Venedig dank Mose keine nassen Füße bekamen, mehren sich kritischen Stimmen. Am 8. Dezember 2020 kam es trotz eines herannahenden Unwetters zu keinem Mose-Einsatz, da ein Pegel von knapp unter 130 cm prognostiziert wurde. Ein verheerender Fehler, den der starke Schirokko-Wind ließ den Meeresspiegel auf 138 cm steigen und es folgte eine vermeidbare Überschwemmung der Lagunenstadt.
Die Gemeinde argumentierte, dass die Verschlechterung rasant passierte und man komplett unvorbereitet war. Jetzt verstärkt sich die Kritik an dem modernen Schutzwall. Neben den Kosten (eine Aktivierung von Mose kostet ca. € 300.000,–) tauchen zusätzlich Fragen bzgl. teurer Wartungsarbeiten und Umweltaspekten auf.
Schlussendlich befürchtet man, dass Mose vielleicht doch zu niedrig konzipiert wurde. „Venedig wird die erste Lagune sein, die Wasser nur bei Bedarf einlässt. Aber wir müssen schon jetzt über Mose hinausdenken, denn Venedig ist wegen des Klimawandels einem beschleunigten Anstieg des Wasserspiegels ausgesetzt. Was früher in einem Jahrhundert angestiegen ist, steigt jetzt in 25 Jahren“, warnt Wasserexperte Giovanni Cecconi von der Universität Ca Foscari in Venedig.
Derzeit bietet Mose bei einem Pegel von drei Metern sicheren Schutz. Es wäre auch das historische Hochwasser von 1966, bei dem der Meeresspiegel auf 194 cm stieg, problemlos in den Griff zu bekommen. Doch die letzten Unwetter und Überflutungen haben eindrücklich gezeigt, dass der immer stärkere Klimawandel keine Limits kennt.