Die Obere Adria boomt! Nicht nur wie in den 1970ern bei den Strandtouristen, sondern auch unter Yachteignern. Je mehr die bürokratische „Bora“ im Osten weht, umso mehr zieht es die Skipper wieder an die italienische Küste. So hat die Region zwischen Muggia und Lignano in den letzten Jahren einen kräftigen maritimen Wachstumsschub hingelegt und kann jetzt weit mehr als nur Schirm, Strand und Spaghetti. Vieles ist aber gleichgeblieben: der Geschmack des Meeres bei der Ankunft zur Sommerfrische, das italienische Flair, der Wein  …
„Bora“, sagt Anna mit einem verschmitzten Lächeln, als sie mir den Espresso auf der Veranda des „Pier“ serviert. Vor dem Abendessen im Restaurant der Marina San Giusto in Triest hantle ich mich dennoch auf das windgepeitschte Roof-Deck, um einen Blick auf das Habsburgerschloss Miramare zu erhaschen. Wie unruhige Kinder an den Händen der Mutter zappeln die Yachten an den Leinen vor mir im alten Hafen, doch die Bora bemüht sich vergeblich, die Marina San Giusto hat ihre 215 Liegeplätze fest im Griff.
Der Blick aus dem Zimmer des Viersterne-Hotels San Rocco in Muggia reicht leider nicht aus, um die gesamte Porto San Rocco Marina zu überblicken. Hier finden aber auch mehr als doppelt so viele Yachten Platz als in der Marina San Giusto in Triest. Die östlichste der 20 FVG-Marinas erinnert nicht nur aufgrund ihrer geografischen Nähe an die kroatische Küste. An den Bistro-Tischen auf der großen Piazza vor der Marina wird auch viel Slowenisch und Kroatisch gesprochen – der Run auf die italienische Seite der Adria hat wohl auch in diesen Ländern bereits eingesetzt.
Tiramisu oder Segeltrimm?
„Der neue Hype beruht grundsätzlich auf den guten alten Qualitäten Italiens, die die Touristen aus den Nachbarstaaten jetzt wiederentdecken“, erklärt uns unser Fahrer Toni am nächsten Tag – und wie zum Beweis parkt er das Auto vor dem alten Weingut Castelvecchio in Sagrado mit Traumblick über die sanfthügelige Landschaft um den Isonzo. Bei der Weinverkostung können wir uns ein Grinsen nicht verkneifen, ist es doch der Malvasia Istriana, der am besten mundet – was aber nicht ungewöhnlich für diese Gegend ist.
Italien vom Feinsten wird uns in Monfalcone serviert. Nicht nur im Top-Restaurant La Rosa dei Venti der Marina Lepanto, wo Eigner das wohl beste Tiramisu der Welt löffeln können, während ihre Yacht am Liegeplatz sanft von süßem Wasser umspült wird. Sondern auch in der Marina Hannibal, an deren natürlich-mediterranen Ufern mit bis zu zwölf Meter Wassertiefe sich Eigner bereits seit den 1960ern erfreuen. Hier ist auch die erste italienische Segelschule im wahrsten Wortsinn „zu Hause“: Auf dem Wasser und im angeschlossenen Internat wachsen die jungen Talente bis zur Regatta-Reife.
Steinbutt mit Polenta
Welch bedeutende Seegeschichte Friaul-Julisch Venetien bereits in der Antike hatte, erfahren wir bei einem Ausflug ins nahe Aquileia. Das Bollwerk wider die „Barbaren“ im Norden, das schon während der Römischen Kaiserzeit fast so viele Einwohner zählte wie heute (ca. 30.000), war über Jahrhunderte auch die wichtigste Hafenstadt der Adria. Im Freilichtmuseum sind die Reste des Binnenhafens nahe dem Forum sowie die Basilika mit dem bedeutendsten frühchristlichen Fußbodenmosaik absolut sehenswert.
Welch einen Kontrast dazu bieten in Grado die beiden Marinas Primero und Porto San Vito mit ihren modernen Resorts und Freizeitanlagen inklusive Swimmingpools! Wer an Bord Platz genug hat, weil vielleicht Eigner eines Katamarans, wird in der kleineren und familiär geführten Marina Darsena San Marco gleich gegenüber der Einfahrt in den alten Hafen eine maßgeschneiderte Bleibe finden.
Wir hingegen checken zentral im Hotel Astoria ein und lassen uns in der Taverna al Canevon einen Klassiker der gradinesischen Küche servieren: Steinbutt mit weißer Polenta, hier weitläufig als „Boreto“ bekannt.
Fliegende Spaghetti
Mit einem Glas Prosecco und Fingerfood (frittierte Meeresfrüchte der Region) heißt uns die Crew der Santa Maria am nächsten Morgen an Bord willkommen. Mit dem Ausflugsboot wollen wir die Lagune von Grado und Marano vom Wasser aus erkunden und mit Lignano Sabbiadoro die westliche Ecke Friaul-Julisch Venetiens erreichen. Weit kommen wir nicht.
Schon nach wenigen Fahrminuten machen wir vor einem winzigen Eiland fest, dem Zuhause des Eremiten Witige Gaddi, der uns auf ein Glas Friulano in seine Fischerhütte einlädt. „Ah, du bist aus Österreich! Ich hatte schon Kurt Waldheim und Jörg Haider hier zu Gast. Die hatten großen Durst, wir haben viel Wein getrunken!“
Wieder an Bord, demonstriert uns das Universalgenie Nico (Chef, Kapitän, Barkeeper, Entertainer …) noch eines seiner vielen Talente und kocht uns in der großen Küche im Salon Spaghetti, die er anschließend mit den Scampi in der großen Pfanne durch die Luft wirbeln lässt wie Mama einst die Palatschinken. Mit friulanischem Weißwein in der Karaffe kommt das Essen schließlich auf den Tisch, während sich die Santa Maria ihren Weg durch die Dalbenstraße bahnt.
In Lignano Sabbiadoro nehmen wir Abschied von Nico und Crew und vertreten uns die Beine in der größten FVG-Marina Punta Faro (1.200 Liegeplätze). Später wird uns Giorgo Ardito noch beim Einchecken in seinem Hotel President Lignano Riviera behilflich sein und uns seine Porto Turistico Marina Uno samt den brandneuen Floating Resorts an der Mündung des Tagliamento zeigen.
Das macht hungrig, also lassen wir uns im Marina-Restaurant Al Cason mit Traumblick auf den grünen Fluss kulinarisch verwöhnen. Der Verdauungsspaziergang führt mich an den berühmten kilometerlangen Sandstrand von Lignano. Und da ist er wieder: der ganz eigene Geschmack des Meeres, genauso wie im Sommer damals …
Text und Fotos: Tahsin Özen | Quelle: ocean7