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Schwankender Meeresspiegel: Wie das Meer so spielt

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten: Kuramathi, Rasdhoo Atoll, Malediven
Steigender Meeresspiegel nagt an der Küste und an der anschließenden Sandbank. Das Wurzelgeflecht dichter Vegetation und vorgelagerte Korallenriffe können den Erosionsprozess verlangsamen. Kuramathi, Rasdhoo Atoll, Malediven. | © Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

Der Meeresspiegel der Ozeane ist nicht konstant, sondern verändert sich laufend. Das Phänomen der Gezeiten ist allen vertraut, der mittlere Wasserstand scheint während der kurzen Zeit eines Menschenlebens mehr oder weniger gleich zu bleiben. Das ist aber nicht der Fall. Er kann sich um wenige Millimeter, aber auch im Meterbereich innerhalb eines Jahrhunderts verändern. Die Ursachen dafür sind weit komplexer als das simple Abschmelzen von Gletschereis.

Der wütende Schlag eines Stachelrochens: Eine Legende der australischen Ureinwohner berichtet von einer dramatischen Erfahrung ihrer frühen Vorfahren. Das Meer sei so rasch angestiegen, dass sich die Küstenbewohner landeinwärts zurückziehen mussten, da ihr bisheriger Lebensraum vom Meer verschlungen wurde.

Es liegt in der menschlichen Natur, für solche Ereignisse nach den Ursachen zu suchen. Laut Legende der Aborigines habe einer von ihnen einen Rochen harpuniert. Diese Tiere galten als heilig und der verwundete Fisch schlug derart wild um sich, dass er das Meer aufpeitschte, wodurch die Küste überflutet und so dieser Frevel bestraft wurde.

Die Erzählung der Ureinwohner vom rasch steigenden Meeresspiegel konnte durch moderne Forschung bestätigt werden. Vor etwa 10.000 Jahren wurde der Kontinentalschelf vor der Ostküste Australiens überflutet. Die schöne Geschichte vom Stachelrochen als Ursache des Meeresanstiegs wurde durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse abgelöst. Dieser Artikel gibt einen Überblick über den heutigen Stand der Forschung bezüglich der Schwankungen des Meeresspiegels.

Das Vermächtnis eines österreichischen Geologen

Eduard Suess (1831–1914) war einer der anerkanntesten Geologen seiner Zeit. Seinen Bemühungen ist der Bau der 1. Wiener Hochquellwasserleitung zu verdanken und auch die Donauregulierung geht auf ihn zurück. Dafür ist er heute noch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Weniger bekannt ist, dass er eine grundlegende Theorie der Meeresspiegelschwankungen entwickelte. Bei seinen geologischen Begehungen des Waldviertels, speziell im Eggenburger Raum, entgingen ihm nicht die zahlreichen Fossilien mariner Organismen.

Wie aber war zu erklären, dass marine Fossilien in einer Landschaft vorhanden sind, die heute weit entfernt von jeder Meeresküste ist? Eine Möglichkeit wäre die Hebung des Landes. Nachdem Suess aber auch an den Rändern der ungarischen Tiefebene ganz ähnliche mediterrane Ablagerungen wie im Waldviertel kannte, kam er zum Schluss, dass eine so ausgedehnte Gleichmäßigkeit nicht durch Hebung des Landes, sondern durch Senkung des Meeresspiegels zu erklären sei.

Eustatische Bewegungen

Suess unterschied in seiner 1888 publizierten Arbeit zwischen positiven und negativen eustatischen Bewegungen oder Meeresspiegelschwankungen. Die positiven Schwankungen bezeichneten den Anstieg des Meeres, heute Transgression genannt. Die Folge ist eine landeinwärts gerichtete Vorrückung der Küstenlinie.

Die negativen Schwankungen bezeichneten den Abfall des Meeresspiegels, heute Regression genannt. Das ist verbunden mit einem seewärts gerichteten Zurückweichen der Küstenlinie. Als Hauptursache für diese Wanderungen der Küstenlinie nahm Suess die Veränderungen des Volumens der ozeanischen Becken an. Seiner Meinung nach waren es eingetragene Sedimente, die das Volumen der Ozeanbecken verringerten und dadurch das Meer ansteigen ließen.

Andererseits dachte er, dass der Einbruch mancher Becken zur Vergrößerung des Volumens und dadurch zum Sinken des Meeresspiegels führt. In Übereinstimmung mit einer klimabezogenen Theorie des deutschen Geologen A. Penck erschien ihm auch der Einfluss der Eiszeiten wichtig, da in Kaltzeiten große Mengen Wasser als Eis gebunden sind. Schmilzt das Festlandeis in wärmeren Perioden ab, so führt das zum Anstieg des Meeresspiegels.

 

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten:
Wasserkreislauf und Meeresspiegelschwankungen. Schematische Darstellung isostatischer („relative sea level“) und eustatischer („geocentric sea level“) Schwankungen des Meeresspiegels. | Grafik: IPCC REPORT 2014, WGI_AR5_FIG.13-1 / Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

 

Heutige Sicht

Die eustatischen Meeresspiegelschwankungen werden heute in einem globalen Maßstab gegenüber einem nicht beeinflussten Fixpunkt beschrieben, das ist der Erdmittelpunkt. Diese Methode der modernen Geowissenschaften wird Eustasie genannt. Als Ursache für die Schwankungen des Meeresspiegels gelten sowohl die Änderungen im globalen Wasserhaushalt als auch Änderungen des Volumens der Ozeanbecken. Folgende Eustasien beeinflussen den Meeresspiegel.

Tektono-Eustasie

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten:
Schwankungsbreite. Vier Szenarien eines möglichen Anstiegs des durchschnittlichen Meeresniveaus bis Ende des Jahrhunderts. Die RCP-Werte beziehen sich im Wesentlichen auf den CO2-Gehalt der Atmosphäre. | Grafik: IPCC REPORT 2014, WGI_AR5_FIG.TS -22 / Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

Das sind die Meeresniveauschwankungen durch Veränderung des Volumens der globalen Ozeanbecken. Eduard Suess vermutete Sedimenteintrag als Ursache. Die Plattentektonik war zu seiner Zeit noch nicht bekannt. Sedimenteintrag und die Kollision von Kontinenten im Rahmen der Plattentektonik verändern zwar den Rauminhalt der Ozeanbecken, aber ein anderer geologischer Vorgang scheint entscheidender zu sein.

Heute wissen wir, dass sich entlang der Mittelozeanischen Rücken der Meeresboden erweitert, er wird gespreizt. Bei hohen Spreizungsraten entsteht neue Lithosphäre und die Mächtigkeit der Mittelozeanischen Rücken nimmt zu. Dadurch nimmt aber das Gesamtvolumen der Ozeanbecken ab, der Meeresspiegel steigt daher und eine Phase der Transgression setzt ein. Bei sinkenden Spreizungsraten kühlen die jungen Gebirge der Mittelozeanischen Rücken ab, sie schrumpfen, verlieren an Größe und erhöhen dadurch das Volumen der Ozeanbecken. Die Folge ist sinkender Meeresspiegel, Regression setzt ein.

Die Zeitmaßstäbe für diese Vorgänge liegen zwischen 100.000 und 10 Millionen Jahren. Das Ausmaß der dadurch verursachten Meeresspiegelschwankungen kann zwischen 10 und einigen 100 Metern betragen. In der Kreidezeit, zwischen 100 und 80 Millionen Jahren vor heute, war der Meeresspiegel um etwa 170 Meter höher als heute. Wie schon Eduard Suess sehen auch seine heutigen Fachkollegen im veränderlichen Volumen der Ozeanbecken über geologische Epochen die wichtigste Ursache für bedeutende globale Meeresspiegelschwankungen.

 

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten: Gatafushi, Ari Atoll, Malediven
Gatafushi, Ari Atoll, Malediven. Eine Frage von Zentimetern: Derart flache, kleine Inseln sind bei Anstieg des Meeresspiegels besonders bedroht. | © Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

 

Glazio-Eustasie

Darunter versteht man die Bindung oder Freisetzung von Wasser in kontinentalen Eisschilden und Gletschern. Im ersten Fall sinkt der Meeresspiegel (Regression), im zweiten Fall steigt er (Transgression). In der gegenwärtigen Klimaerwärmung mit schmelzenden Eismassen ist diese Glazio- Eustasie ein beherrschendes Thema in den Medien.

In geologischen Zeiträumen wurden durch Klimaänderungen gewaltige Schwankungen des Meeresspiegels verursacht. Während der letzten Kaltzeit, der Würmeiszeit, wurde durch Festlandeis so viel Wasser gebunden, dass der globale Meeresspiegel etwa 130 Meter niedriger war als heute. Diese Eiszeit endete vor rund 10.000 Jahren, das Eis begann abzuschmelzen, der Meeresspiegel stieg weltweit an – wir sind im Zeitfenster der australischen Stachelrochen Legende gelandet.

Thermo-Eustasie

Als Folge der globalen Erwärmung steigt auch die Temperatur der Ozeane. Warmes Wasser dehnt sich aus und durch die Zunahme des Wasservolumens steigt der Meeresspiegel ebenfalls an. Die Temperaturverteilung im Ozean ist aber nicht einheitlich.

Das ist einer der Gründe, warum in unterschiedlichen Ozeanregionen unterschiedliche Werte für den Anstieg des Meeresspiegels gemessen werden.

Geoidal-Eustasie

Das Schwerefeld der Erde ist regional unterschiedlich. Diese Schwereanomalie des Erdkörpers führt zu unterschiedlichen Verteilungen des Meerwassers. Das Schwerefeld der Erde ändert sich auch über geologische Zeiträume. Auch das beeinflusst das regionale Steigen oder Sinken des Meeresspiegels.

Hydro-Isostasie

Darunter werden relative Meeresspiegelschwankungen verstanden. Beispielsweise kommt es bei Belastung des Ozeanbodens durch Zunahme der Wassermenge zu Ausgleichsbewegungen der Erdkruste. Diese isostatische Absenkung des Ozeanbodens kann im Gegenzug zur Anhebung der Kontinente führen, wodurch der regionale Meeresspiegel beeinflusst wird.

 

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten:
Darstellung des Zu -sammenhangs zwischen eustatischem (absolu-tem) und isostatischem (relativem) Meeres-spiegel. | © Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

 

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten:
Große Unterschiede. Die unterschiedlichen Farben verdeutlichen unterschiedliche Änderungsraten des globalen Meeresniveaus. Die Extreme sind Rot (Steigen) und Blau (Fallen) des Meeresspiegels. Sechs Blöcke zeigen eu- und isostatische Schwankungen des Meeresspiegels an sechs Orten im Zeitraum 1950–2012. | Grafik: IPCC REPORT 2014, WGII_AR5_FIG.30-5 / Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

 

Vielfältige Wechselwirkungen

Alle diese aufgezählten Mechanismen wirken nicht für sich allein, sondern überlagern sich gegenseitig. Über geologische Zeiträume waren Schwankungen des Meeresspiegels die Regel, nicht die Ausnahme. Gegenwärtig wird ein Anstieg des globalen Meeresspiegels von etwa drei Millimeter pro Jahr beobachtet. Hauptverantwortlich dafür sind wohl das Schmelzen des Eises von Antarktis, Grönland und Gebirgsgletschern (Glazio- Eustasie) und die Ausdehnung des Meerwassers durch Erwärmung (Thermo-Eustasie).

In jedem Fall sind die vielfältigen Ursachen der Meeresspiegelschwankungen sehr komplex und verleiten zu vereinfachenden Erklärungen. Das ist dann die große Stunde der Demagogen, deren Spannweite von Kassandras bis zu Abwieglern reicht. Nicht ihnen sollte unsere Aufmerksamkeit gehören, sondern den Bemühungen der Wissenschaft, die auch auf diesem Gebiet noch lange gefordert sein wird.

 

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten:
Komplexe Vernetzung. Auswirkungen eines steigenden Meeres -spiegels auf Ökosysteme und menschliche Gesell-schaften. | Grafik: IPCC REPORT 2014, WGII_AR5_FIG.29-4 / Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

 

Schwankender Meeresspiegel der Ozeane - Phänomen der Gezeiten: Kandholhudhoo, Ari Atoll, Malediven
Kandholhudhoo, Ari Atoll, Malediven. Natürlicher Wellenbrecher. Gesunde Korallenriffe sind der beste Erosionsschutz der dahinterliegenden Küsten. Sie brechen die Wellen, vermindern deren Erosionspotential und können bei steigendem Meeresspiegel mitwachsen. Allerdings nur, wenn der Meeresspiegel nicht zu rasch steigt und wenn die Riffe gesund sind. Letzteres ist leider immer seltener der Fall. | © Dr. Reinhard Kikinger / ocean7

 

Text und Fotos: Dr. Reinhard Kikinger | Quelle: ocean7

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