Sie existieren bereits seit dem Eozän, sind seit Jahrtausenden ein fester Bestandteil der Mythologie, Kunst und Folklore, bestehen weltweit aus mehr als 4.000 Arten, man kann Fieber-Präparate aus ihnen herstellen und sie zum Teil sogar essen, den meisten Kroatien-Reisenden sind sie jedoch durch ihren Gesang wohlbekannt: die Singzikaden. Porträt der kleinen, unscheinbaren Sänger von der SeaHelp-Redaktion.
„Glücklich leben die Zikaden, denn sie haben stumme Weiber“, schrieb bereits vor langer Zeit der griechische Dichter Xenarchos, denn schon den alten Griechen war bekannt, dass der Gesang der sechsfüßigen, 1,4 bis zu 11 Zentimeter großen Insekten ausschließlich von den Männchen ausgehen.
Singzikaden wurden als Sinnbild für die menschliche Seele verehrt
Doch nicht nur im antiken Griechenland, sondern auch im alten China und in Japan sowie in Nordamerika bildeten Singzikaden die Grundlage für zahlreiche Legenden und Mythen. In Afrika und im alten Ägypten wurden sie gar Sinnbild für die menschliche Seele verehrt sowie als Symbol angesehen für Unsterblichkeit, Wiedergeburt, ein langes Leben, zum Teil auch für Erotik.
Zwar gibt es weltweit mehr als 4.000 bekannte Arten der wärmeliebenden Singzikaden, die vorwiegend in den Tropen und in subtropischen Zonen verbreitet sind – die größten Vertreter dieser Familie leben in Indien, Südchina und den Großen Sundainseln, doch auch in Europa kommen die Singzikaden mit immerhin noch 61 Arten in 12 Gattungen überwiegend im Mittelmeergebiet vor; etwa 13 bis 14 Arten in sieben Gattungen dringen in thermisch besonders begünstigte Regionen Mitteleuropas vor, darunter auch Kroatien.
Gehört für viele Kroatien-Urlauber dazu: der Gesang der Zikaden
Neben ihrem außergewöhnlichen Leben – Singzikaden durchlaufen fünf Larvenstadien und haben eine Entwicklungszeit von mehreren Jahren – ergibt sich die besondere Bedeutung der Schnabelkerfe (wissenschaftlicher Name Cicadidae) jedoch aus ihrem spezifischen Gesang, der für viele Kroatien-Touristen in der Ankerbucht einfach dazugehört, für andere jedoch als störender Lärm empfunden wird. Zudem bekommt man die scheuen, farblich perfekt an ihre Umwelt angepassten Insekten so gut wie nie zu Gesicht, was bei vielen Menschen zu ängstlichem Verhalten gegenüber den Tieren führt.
Zu ängstlichem Verhalten oder gar Ablehnung der Insekten besteht jedoch kein Anlass: alle Singzikaden sind für den Menschen völlig ungefährlich, denn als sogenannte Xylemsauger ernähren sie sich mit Hilfe ihres Rüssels ausschließlich von den Säften verschiedener Gehölze und krautiger Pflanzen; die unterirdisch lebenden Larven saugen den Saft von Pflanzenwurzeln.
Was diese spezielle Familie innerhalb der Rundkopfzikaden jedoch so besonders macht, ist die Fähigkeit, für Menschen hörbare Laute zu produzieren. Dazu verfügen die Männchen über speziell ausgebildete Trommelorgane (Tymbale) an den Seiten des ersten Hinterleibs-Segmentes, direkt hinter dem Ansatz der Hinterflügel. Durch ansetzende Muskeln (Singmuskeln) werden nach außen gewölbte, durch Rippen verstärkte Schall-Platten in Schwingungen versetzt.
Das eigentliche Geräusch entsteht dabei durch Eindellen (Muskelzug) und Zurückspringen (Eigenelastizität). Direkt unter dem Singmuskel sorgt ein großer Luftsack im hohlen Hinterleib für die notwendige Resonanz.
Für manche Touristen entschieden zuviel: Singzikaden können so laut sein wie ein Presslufthammer
Mit Hilfe dieser Organe können Laute bis 900 Hertz und Lautstärken bis 120 Dezibel erzeugt werden. Und genau da liegt auch das Problem: bei etwa 120 Dezibel liegt die Schmerzgrenze des menschlichen Ohrs. Ähnlich laut ist etwa eine Kettensäge oder ein Presslufthammer.
Für einige Touristen ist das entschieden zuviel – wenn sie die gebuchte Urlaubs-Location ändern wollen, können sie nur auf die Kulanz des Vermieters hoffen, denn einen rechtlichen Anspruch begründet der Zikaden-Gesang in der Regel nicht. Segler haben es da viel einfacher – ertönt das Sing-Geräusch in der ansonsten stillen Ankerbucht einmal doch um ein paar Dezibel zu laut, verlegen sie das Boot einfach ein paar Meter nach draußen.
Interessant zu wissen: obwohl alle Zikadenarten Schall- bzw. Erschütterungswellen zur Kommunikation von sich geben, ist nur die Mehrzahl der Vertreter der Cicadidae in der Lage, für Menschen hörbare Laute zu produzieren. Der Gesang der Männchen dient vor allem der Anlockung der Weibchen, er wird jedoch auch zur Festsetzung von Reviergrenzen eingesetzt.
Besonders laut singen die Zikaden während der Paarungszeit
Noch nicht abschließend geklärt ist hingegen, warum die Männchen tagsüber oder ausgerechnet in der Dämmerung fast ununterbrochen singen. Fakt ist jedoch, dass es besonders laut wird, wenn sich die Tiere zur Paarung oft in großer Zahl in Bäumen, Sträuchern oder auch in der niederen Vegetation versammeln.
In Griechenland sind erste plastische Darstellungen der Tiere übrigens schon aus prähistorischer Zeit bekannt: in Gräbern der Stadt Mykene (2000 v. Chr.) fand man die Modelle von Zikadenlarven, die auf die Bedeutung der Zikaden als Symbole für die Unsterblichkeit und ein langes Leben hindeuten.
Singzikaden wurden als Modell der menschlichen Seele angesehen
Singzikaden sind jedoch als Metaphern für die Sangeskunst und Eloquenz (Musen) und die Unsterblichkeit noch viel tiefer in der Vorstellungswelt der Griechen verwurzelt gewesen. Nach dem Phaidros, einem Text des Philosophen Platon (429-347 v. Chr.), geht man davon aus, dass Zikaden als Botschafter der Musen gleichbedeutend zu „entkörperlichten Seelen“ aufgefasst wurden. Sie sollen sich von den physischen Bedürfnissen (=Abstreifen der Larvenhaut) befreit haben und damit eine höhere Ebene der Erkenntnis erreicht haben.
Damit wurden Zikaden offenbar als ein „Modell der menschlichen“ Seele angesehen. In der Literatur (Gedichte, Fabeln und Erzählungen) spielen die Zikaden ebenfalls eine bedeutende Rolle. Abgehoben wird überwiegend auf die Zikaden als Sänger oder als Sinnbilder für Musik und Kunst, aber auch als Lärmverursacher.
Zikaden in der Fabel: Faulenzen bringt kein Brot ins Haus
Die wohl bekannteste Fabel ist jene, die auf den altgriechischen Fabeldichter Äsop (600 v. Chr.) zurückgeht: danach hatte sich eine Zikade (im Text eine Heuschrecke) den ganzen Sommer über auf dem Feld amüsiert, während die fleißige Ameise für den Winter Getreide gesammelt hatte. Als nun der Winter kam, wurde die Heuschrecke so vom Hunger geplagt, dass sie betteln gehen musste. Als sie bei der Ameise um Almosen bat, sagte ihr diese: „Hast du im Sommer singen und pfeifen können, so kannst du jetzt im Winter tanzen und Hunger leiden, denn das Faulenzen bringt kein Brot ins Haus.“
Besonders weitverbreitet sind die Singzikaden im Alltag der Menschen in der Provence. Als Ausdruck des leichten mediterranen Lebensgefühls begegnet man hier den Tieren in der provenzialischen Kultur in vielfältiger Form, beispielsweise auf Gasthausschildern, als Willkommenssymbol über Haustüren, in Form kleiner Tonfiguren und Fayencen, als Darstellungen auf Vasen und Geschirr oder Broschen. In vielen weiteren Ländern und Regionen der Welt finden sich Abbildungen von Singzikaden auf Briefmarken und anderen Alltagsgegenständen.
Vielleicht denkt man beim nächsten Kroatien-Törn an die Bedeutung der kleinen Singzikaden für die Menschen – und nimmt die nimmermüden Sänger als natürlichen Teil einer intakten Umwelt wahr, statt sie wegen ihres teilweise recht hohen Geräuschpegels vorschnell zu verdammen. Immerhin haben Sie das Recht des Älteren, dort zu leben, der Mensch kam erst viel später hinzu.